Nein! Nein! Nein! Das darf doch nicht wahr sein. Grade jetzt muss sich ein Genuatief breit machen. Quasi der Super-GAU für unsere Pläne: Klettern im Bergell, Hochtouren im Wallis und am Montblanc, wieder Klettern in Liguren. Da geht jetzt erstmal gar nix, außer vielleicht Wandern im Hartz. Steht aber nicht auf der Wunschliste. Mit immer schlechterer Laune werden hektisch Last-Minute-Angebote durchsucht, Wettervorhersagen verglichen, hin- und herüberlegt, aber so richtig passt uns das alles nicht. Kein vernünftiger Flug verfügbar, kein Klettergebiet in der Nähe, Mistral… Oh man!  Zum Haare ausraufen.

Genuatief
Genuatief Christine

Kurzzeitig wird sogar die Möglichkeit, anstatt Urlaub wieder ins Büro zu gehen, in Erwägung gezogen. Ernsthaft! Die Vernunft siegt. Erstmal abwarten, wird schon werden. Am Montag starten wir dann einfach in Richtung Gardasee, da kennen wir uns aus, irgendwas geht da immer. Schnell noch ein nettes kleines Hotel in der Altstadt von Riva ausgemacht und gebucht. Das feuchte Wetter der ersten Tage können wir auch kompensieren: Gehn wir morgens halt laufen, Lago di Tenno und sein Hinterland erkunden. Nachmittags klappt’s dann auch mit der ersten Runde Klettern an den Felsen von Belvedere oberhalb von Nago. Der obere Sektor bietet wunderbares Gelände mit Blick über den See. Hier kommen wir in den nächsten Tagen nochmal vorbei. Dazwischen geht’s noch ins nahe Sarcatal, ohne Mehrseillängentouren, dafür mit einsamer Sportkletterei. Überhaupt ein Umstand der sich durch die ganze Reise zieht. Wenig Andrang, wo wir auch hinkommen. Das Wetter wird von Tag zu Tag stabiler. Nach vier Tagen geht der Trip weiter. Über Bergamo steuern wir von Süden ins Bergell. Nicht nur Ortswechsel, auch Gesteinswechsel: Jüngster Granit folgt dem Gardaseekalk. Wir steigen auf die Capanna di Sciora. Als Akklimatisationstour muss das Bügeleisen am Piz Gemelli herhalten.

Sciora
Sciora-Hütte

Morgen will sich Arne melden, dann gibt’s noch was am Badile. Mal schauen – die Engländer auf der Hütte machen uns wenig Hoffnung auf Badile-Nordostwand. Arne schlägt dann auch Salbit anstatt Badile vor. Klingt gut. Da waren wir noch nie. Nach dem Bügeleisen geht´s im Eilschritt runter zum Auto und nach Göschenen. Nach gefühlten 100 Baustellen (anscheinend ist der 8.September in der Schweiz „Tag der Baustelle“) erreichen wir den coop in Göschenen. Arne wartet schon. Bei einer Flasche Rotwein gibt es ein freudiges Wiedersehen und wir überlegen die Optionen für die kommenden Tage. Wir starten gleich mit dem Meisterstück an den Zwillingstürmen: Villiger-Pfeiler (6b). Wir piazen hinter Arne her, das eine oder andere Mal auch A0. 6b ist selbst im Nachstieg eine ordentliche Untertreibung, Chapeau vor den Erstbegehern (und unserem Vorsteiger…). Zum Nachtmahl sind wir fast pünktlich auf der Salbithütte.

Salbitblick
Salbitblick

Am kommenden Morgen kündigt sich bei Arne eine Erkältung an und wir planen wieder um. Arne fährt heim. Ein bisserl unmotiviert kehren wir auch bald um und machen uns auf den Weg nach Frankreich. Der Rhone folgend bis nach Martigny, dann über den Col de la Forclaz und den Col des Montets, erreichen wir Chamonix-Montblanc. Susanne kennt sich hier schon recht gut aus, für mich ist es die Premiere zu Füßen des Höchsten der Alpen. Ich bin total begeistert. Allen Unkenrufen zum Trotz, ein wunderbarer Ort mit netten Menschen und einem ganz besonderen Flair. Nicht zu vergleichen mit den Orten im Oberengadin, die deutlich mondäner, gleichzeitig aber provinziell wirken. Auch nicht mit den Kletterhochburgen am Gardasee, wo dann doch die Touristen aus Nordtirol und Bayern dominieren. Trotz der Eingezwängtheit zwischen den Spitzen der Aiguilles herscht ein weltoffenes Klima. Uns bleibt leider auch hier nicht viel Zeit, die nächste Kaltfront mit schlechtem Wetter kündigt sich an. So lösen wir zwei Tickets à 45,- EUR und lassen uns auf 3.842m Höhe gondeln. Von hier hat man die Möglichkeit, wunderbare Tagestouren in hochalpinem Ambiente zu unternehmen. Wir entscheiden uns für den Arête des Cosmiques. Schwierigkeit AD, eine 4c Kletterstelle, aber Susanne kennt sich aus.

Arête du cosmiques
Arête des Cosmiques

Wir laufen vor der (ohnehin kleinen) Meute an Bergführern her. Ohne uns beeilen zu müssen. Da kommt Freude auf. Und das beste kommt zum Schluss, man kommt am Ende wieder bei der Bergstation der Aiguilles du Midi an. Nix stundenlang absteigen.

Abends setzt der angekündigte Regen ein. Mittwoch Morgen schüttet es, was der Himmel nur hergibt. Fluchtartig verlassen wir das Tal durch den langen Tunnel nach Italien. Das Aostatal hinab, weiter bis ans Meer. Zum Glück hatten wir uns schon von zu Hause aus ein Domizil in Ligurien ausgesucht. Und siehe da, eine Ferienwohnung ist auch noch verfügbar als wir unvermittelt vor der Tür stehen. Nicht weit entfernt von der Kletterfelsen rund um Finale beziehen wir unser Apartment.

Mittelmeerflair
Mittelmeerflair

So kommen wir auch schnell in den Rhythmus aus Entspannung, Sightseeing, Essen und Klettern. Die Klettergebiete sind mit das Beste, was wir je erlebt haben. Die ganze Bandbreite von flach bis steil, glatt bis henkelig, Dropholes, Sinterfahnen, fast immer rauh und nur wenig speckig, durchgehend gut abgesichert. Faszinierend. Dazu selbst am Wochenende unglaublich ruhig. (Im Winter und besonders rund um Ostern soll das allerdings anders sein.) Wir klettern an den Rocca di Perti, am Monte Sordo, am Monte Cucco, Paretina di Finalborgo, Parete Dimenticata, Caprazoppa. Ich könnte jetzt gar nicht sagen was mit am besten gefallen hat. In Erinnerung bleibt aber sicherlich Lo Specchio am Monte Sordo und die Grotta dell’Edera, auch wenn wir letzterer nur einen Besuch abgestattet haben, ohne zu klettern.

Lo Specchio - Colite & Gaz- trite (7a)
Lo Specchio – Colite & Gaztrite (7a)

Nach einer Woche heißt es aber auch hier, Koffer packen. Mit einem Zwischenstopp in Genua machen wir uns wieder auf den Heimweg. Ohoh, ganz schön weit ist das bis nach Hause. Tags drauf müssen wir natürlich gleich mal hier in heimischen Gefilden checken, ob sich der ganze Aufriss auch gelohnt hat. Und siehe da, mein Plateau ist zumindest für den Moment verlassen. Vermutlich lag’s nur an der frischen Pasta!

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