Nach dem heimischen und immer wieder schönen Kaiser geht´s wenige Tage später raus in die große Welt – Chamonix ruft. Wird ja langsam mal Zeit, auch die Westalpen ein bisschen zu erkunden. Gletscher, die bis in den Wald hinunterreichen und zahme, dickgefütterte Steinböcke reichen schon für erste Verzückung.

Am Col de Montets warte ich bei einem Eis gemütlich auf Birgit und dann geht´s erstmals hinunter ins legendäre Alpendörflein. Birgit war schön öfter in der Gegend, kennt aber bislang auch nur die schnellste Strecke den „Toutes directions“-Schildern nach, hat also auch noch keinen Fuß auf Chamonixer Boden gesetzt. Nun starten wir die erste Erkundungstour durch die Fußgängerzone. Nach einer Nacht am Col de Montets in Birgits komfortablen VW-Bus geht´s am nächsten Morgen wieder runter zur Aiguilles du Midi-Bahn. Dort treffen wir auf Tom, unseren Bergführer, der die nächsten Tage die Rolle des Coachs (und Jokers) einnehmen wird und sorgsam überwacht, was wir auf Tour so treiben. (Was zuweilen wohl deutlich mehr Geduld und Nerven erfordert, als uns am Seil hinterherzuschleifen, und nebenbei auch etwas länger dauert…)

Von der Aiguilles du Midi geht´s auch gleich mit der ersten Traumtour, dem Arête des Cosmiques, los. Am Grat sind wir fast alleine unterwegs, laufen nur an der Schlüsselstelle mal kurz auf die Dreier-Seilschaft vor uns auf. Ansonsten niemand vor und niemand hinter uns, also die Gelegenheit, das ganze in vollen Zügen zu genießen. Purer Genuss – fast schon ein bisschen schnell ist´s vorbei und wir finden uns über die Treppe auf der Aussichtsplattform wieder.

Arête des Cosmiques
Arête des Cosmiques

Eine Nacht am Campingplatz, den Ortswechsel nach Courmayeur und eine Gondelfahrt später geht´s am nächsten Morgen von der Turiner Hütte aus über das Gervasutti-Couloir auf die Tour Ronde. Im Couloir überholen wir tatsächlich zwei Italiener, die vor lauter „riposare“ noch langsamer sind als wir, ansonsten sind wir wieder alleine unterwegs. Ein gefühlt sehr plattiges, tatsächlich aber doch mit einigen Rissen überzogenes IV-er-Wändchen kostet mich im Anschluss an das Couloir ein paar Nerven, die richtigen Griffe waren offenbar wo anders als meine Hände und für die Steigeisen fehlten eindeutig die nach dem Cosmique-Grat erwarteten vorgestanzten Tritte. Aber auch das bringen wir in Flucht-nach-vorne-Manier hinter uns und stehen bald schon auf dem Gipfel.

Tour Ronde
Gervasutti-Couloir
Damenseilschaft
Tour Ronde

Am nächsten Morgen wartet gleich in aller Frühe die erste Herausforderung: Morgendlicher Toilettenbesuch auf nüchternen Magen. Die Sanitäreinrichtungen der Turiner Hütte können es allemal mit Bolivien aufnehmen, nur dass ich dort die Toilettenbesuche auf outdoor verlegt habe… Nachdem das überstanden ist machen wir uns auf den Weg zum Dent du Géant. Ein bisschen Spurensuche ist nötig, aber ansonsten ist der Zustieg kein Problem. Am Einstieg angelangt – heute sind wir leider alles andere als alleine unterwegs – fängt es an zu stürmen, und wir legen bereits hier alle Freikletterpläne zugunsten unserer warmen Berg- und Handschuhe ad acta. Als ich ab der dritten Seillänge den Vorstieg übernehme und mich am Tau nach oben schwinge, fühle ich mich wie auf hoher See. Ich kämpfe nicht mehr gegen die Schwerkraft nach unten, sondern gegen das Weggeblasenwerden, kein Wunder bei einer Windgeschwindigkeit von 70 km/h. Mit Klettern hat das Tarzanspiel nicht viel zu tun, unterwegs gibt´s aber zumindest die ein oder andere schöne Stelle, die noch von Tauen verschont wurde.

Dent du Géant
Dent du Géant

Eine Hubschrauberrettung bringt dann noch ein bisschen mehr Wirbel in die Luft, aber dann stehen wir endlich am Gipfel und genießen kurz die Aussicht, ehe wir uns beeilen, den Rückweg anzutreten. Ganz schön lang haben wir gebraucht und so schaffen wir es nicht mehr vor Donnergrollen und Hagelschauern in die Hütte, aber zum Glück zieht das Gewitter recht schnell wieder ab.

Tauziehen
Tauziehen

Die ganze Nacht pfeift der Sturm um die Hütte und auch am Morgen sieht´s nicht besser aus, so dass wir uns nach drei traumhaften Touren für den Abstieg (bzw. die Abfahrt) entscheiden. Mit der Gondel geht´s wieder hinunter, und in Chamonix schauen Birgit und ich uns bei den letzten Sonnenstrahlen nochmal alle Fotos der letzten Tage durch. Danke an Tom, der alles bestens fotografisch dokumentiert hat, so dass wir neben den Erinnerungen auch noch jede Menge schöne Bilder mit heim nehmen können (ein paar davon gibt’s ins unserer Bildergalerie zu sehn)! Tolle Tage waren´s, viel haben wir gelernt – Kaffeetrinken mit Arne, der noch bleiben darf, gibt mir noch ein bisschen Aufschub, und dann muss ich mich doch wieder auf den Heimweg machen. Nicht ohne den Plan, bald mit vielen neuen Zielen wiederzukommen…

Alle Bilder © Thomas Merkel

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